Mein Erstlingswerk:


Taschenbuch,  Größe  19 cm  x  13 cm,  ca. 310 seiten,  100% KI - Frei

 


Es gibt Bücher, die rauschen an einem vorbei wie ein Gespräch, das man nicht mitbekommen hat. Und dann gibt es solche, die sich leise neben dich setzen. Die nicht laut werden müssen, um zu bleiben. „Rentnerprämie“ ist so ein Buch. Es schmeckt nach echtem Leben, nach dem, was unter der Oberfläche pulsiert – dort, wo Verletzlichkeit auf Würde trifft und das "Unsagbare" Raum bekommt.
Zwischen den Zeilen liegt ein feines Flirren, ein Schatten von Schuld, ein Hauch von Neuanfang. Jeder Mensch in dieser Geschichte trägt seine eigene Farbe – manche leuchten, manche verblassen, manche scheinen nur im Dunkeln. Und doch berühren sie sich, über Umwege, durch Zufall, durch Notwendigkeit.
Dieses Buch hat keine einfachen Antworten. Aber es stellt Fragen, die tief gehen. Es erzählt von Nähe, die wehtun kann, von Abhängigkeiten, die sich als Liebe tarnen – und von Menschen, die trotz allem aufstehen, den Mund öffnen oder einfach nur die richtigen Worte finden, wenn niemand zuhört.
Ich wünsche mir sehr, dass viele dieses Buch nicht nur lesen, sondern spüren. Weil es nicht schreit, sondern atmet. Und weil es – wie das Leben – nicht glatt ist, sondern ehrlich.
Ein Roman, der bleibt.
Für alle, die das Unvollkommene lieben.

Ief Parsch  Autorin & Coach  www.woerterimraum.de



Leseproben: 

Als Marc heute aufwachte, wusste er wieder, was er machen wollte. Er freute sich, schon zu seiner Oma zu gehen, um sie zu einer kleinen Fahrradtour abzuholen. Und das war  nicht so einfach, denn Trude, so hieß seine Oma, war ständig unterwegs. Seit sie im Ruhestand war, waren die Tage noch viel kürzer für Trude in Vergleich zu der Zeit, als sie es noch nicht war. Bei Trude war es eher ein Unruhestand. Von einem Termin jagte sie zum anderen. Ob morgens bei der freiwilligen Essensausgabe im personell dauerhaft unterbesetzten Altenheim oder nachmittags im Kirchenkreis beim Servieren von Kaffee und Kuchen für neuankommende Flüchtlinge, oder beim ehrenamtlichen Einlass im großen Stadttheater; Trude war dauernd unterwegs...


*

Dorothea schob den vollen Einkaufswagen durch das Einkaufszentrum. Es passte nichts mehr hinein, denn es war ein Einkauf für eine ganze Woche. Eine Woche für eine vierköpfige Familie bedeutete schon eine Menge Zeug.
Da das eine Rad des Wagens ab und zu blockierte, war es sehr schwer, ihn mühelos durch die Gänge zu schieben. Der Einkaufswagen hatte einen leichten Linksdrall und zwang Dorothea, immer in kurzen Zeitabständen ruckartig nach rechts zu lenken. „So ein Mist“, dachte sie sich, „da sind ja meine wöchentlichen Yogastunden einfacher. Noch schnell bei den Nudeln vorbei, und dann nichts wie raus“, sagte sie leise vor sich hin. Sie wurde langsam etwas nervös, denn sie musste noch in den Kindergarten, die Zwillinge abholen. Ihr Mann hatte heute keine Zeit dafür, weil er erst zwanzig Uhr von Arbeit kam. Und mit der blöden Schiene am Knie hatte sie nicht die normale Stabilität und Schnelligkeit beim Laufen, die sie vor dem Unfall hatte. Drei Jahre war es jetzt her, als sie von einem ausparkenden Pkw übersehen und auf dem Fahrradweg angefahren worden war. Das Auto hielt kurz und fuhr dann weg, es war absichtliche Fahrerflucht. Sie lag damals auf dem Radweg, den Oberkörper verdreht und ein Bein abgeknickt, zwischen Lenker und Rahmenstange. Das Nächste, woran sie sich erinnern konnte, war, wie sie im Krankenhaus aufwachte und überall Schmerzen hatte.
Es war eine Horrordiagnose für sie. Doppelter Kreuzbandriss, Verschiebung der Hüfte, zwei Rippen gebrochen und Splitterung im Ellenbogengelenk. Fast ein kompletter Totalausfall.
Doch zum Glück hatte sie sich einige Jahre vorher zu einer umfangreichen Unfallversicherung überreden lassen. Mit Sonderstatus für zwei Kuren nach Unfall, kompletter Kostenübernahme der gesamten Reha-Kosten und noch vieles mehr. Schon allein die Krankenhaus-Tagegeldzahlungen ließen Dorothea und ihren Mann finanziell gut über die Runden kommen. Es war eine Versicherung mit abgeschlossener Haushaltsunterstützungshilfe. Die Hilfe griff auch für eine Hilfe im Haushalt und wird bis zur Beendigung der Reha übernommen. Bei zwei kleinen Kindern ist das mindestens viermal in der Woche. Nur heute konnte die Haushaltshilfe nicht. Sie hatte einen dringenden Anruf bekommen und ist deswegen kurz zu Ihrer Tochter gefahren. Deshalb musste Dorothea heute selber einkaufen.
Das alles ließ die junge Familie den Unfall zwar finanziell gut überstehen, aber der Verlust ihrer Beweglichkeit -sie war sehr aktiv, tanzte und machte Yoga- wog schon sehr schwer und machte sie teilweise traurig und depressiv. Sie war zusätzlich noch in psychologischer Behandlung, und das war der Teil, der am meisten auf die Familie drückte, und leider fanden Dorothea und ihr Ehemann nicht immer den richtigen Weg, um dieses Geschehnis gemeinsam zu verarbeiten. In letzter Zeit stritten sie häufiger, eigentlich nur um belanglose Dinge. Zwar funktionierte es gut, den Stress von den Zwillingen fernzuhalten, aber Dorothea war sich sicher, dass die Kids mehr spürten, als man ihnen anmerkte. Plötzlich wurde Dorothea schwindelig, sie krallte sich mit beiden Händen fest an den Einkaufswagen, um sich abzustützen. Dass ihr aus heiterem Himmel übel wurde, kannte sie nicht. Zuerst dachte sie, dass sie nicht genug getrunken hatte, aber das konnte eigentlich nicht sein. Plötzlich bekam sie Panik, sie hatte das Gefühl, dass sich ihre Atemwege zuziehen, sie atmete schwer und bekam weiche Knie. Dann fing das Herz an zu rasen, sie schob den Wagen schneller und hatte das Gefühl, dass sich alles um sie drehte, und dann krachte es. Sie schob den Wagen direkt links in das Nudelregal. Das Mittelregal der Nudelabteilung kippte um und begrub Dorothea mitsamt ihrem Einkaufswagen. Sie war tot.…


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„Verdammt noch mal“, rief Julia und warf den Locher an die Wand. Er zerbrach in seine Einzelteile und fiel zu Boden. „Hey Julia, beruhige dich“, sagte Steve. „Wie soll ich mich beruhigen?“, erwiderte sie, „wir haben innerhalb von zwei Monaten vier Tote und überhaupt keinen Anhaltspunkt. Es gibt kein Herzversagen bei gesunden Menschen ohne Vorwarnung. Wir haben den ungelösten Nudelregalfall ad acta legen müssen, beim Zebrastreifentoten gibt es keinen Anhaltspunkt. Er war Nichtraucher, hatte einen ruhigen Beruf, war sportlich und ging einmal im Jahr zum Hausarzt zur Kontrolluntersuchung. Das hat mir sein Arzt mitgeteilt. Dann der fitte Jogger, er war ein Musterschüler in Sachen Gesundheit. Zuletzt jetzt noch der Konzertfreak. In seiner Wohnung am Waldrand haben wir eine Kiste mit über zweihundert Konzerteintrittskarten gefunden. Aber ins Konzert zu gehen bringt einen doch nicht um. Auch er war sportlich, Nichtraucher und lebte sehr gesund. Das vierte Herzversagen bei komplett gesunden Menschen. Was flattert uns als nächstes ins Haus?“ „Nicht ins Haus“, sagte Steve, „ins Kommissariat“ und lächelte Julia an. Rums, da kam der Tacker geflogen und verfehlte Steve nur knapp. „Zu Späßen bin ich heute nicht aufgelegt“, fauchte sie und stapfte aus ihrem gemeinsamen Bürozimmer im Kommissariat.
Sie ging in den Hof und stieß einen lauten Schrei aus. Danach beruhigte sie sich ein wenig. Es nagte sehr an ihr, dass Sie den Tod der Nudelregalfrau nicht aufklären konnte, bzw. nicht weiter aufklären durfte. Der Fall wurde geschlossen. Und jetzt schon wieder: „Natürliche Todesursache laut Totenschein ist Herzversagen“. Auch die Obduktionen ergaben keine Hinweise. Aber irgendetwas nagte in ihr. Sie war sich sicher, dass etwas nicht stimmte. Nach einer kurzen Pause ging sie wieder ins Büro, nahm sich die Fotos, die in der Wohnung des Joggers gemacht worden waren zur Hand, las den Bericht noch einmal durch, aber fand nichts. Achtundsechzig Jahre alt, war gut trainiert, hatte keine Familie, keine Kinder und so gut wie keinen sozialen Kontakt. Es gab keinen Ansatz, an dem sie sich festhalten konnte, irgendetwas herauszufinden. Sie holte sich die anderen Akten, die vom Nudelregal und die Akte vom Zebrastreifen. Zum Schluss las sie noch einmal die Akte vom Konzerttoten. Es wurde schon langsam dunkel, aber Julia hatte überhaupt keine Lust, nach Hause zu gehen. „Bis morgen dann“, sagte Steve, legte ihr eine Hand auf die Schulter und meinte noch, dass sie aber bitte nicht den neuen Drucker an die Wand schmeißen soll. „Blödmann“, sagt sie kurz und schob die Lampe wieder so hin, dass der Lichtkegel auf die Akten fiel. Wenn sie auch an so einiges glaubte im Leben, an den Zufall, dass alle Toten an zufälligem Herzversagen gestorben sind, glaubte sie nicht. Damit war sie aber die Einzige. Die Totenscheine und die Obduktionen waren eindeutig. Nach einer weiteren halben Stunde sinnlosen Grübelns schlug sie mit der linken Faust auf den Tisch und wischte mit der rechten Hand die Akten vom Schreibtisch runter, stand auf, machte das Licht aus und verließ ihr Büro. Obwohl sie heute sehr lange im Kommissariat gewesen war, war sie noch vor Susi zu Hause. Das ärgerte sie zusätzlich noch, denn sie wollte jetzt noch gerne mit ihr plaudern und nicht mehr über die ungelösten Fälle nachdenken.
Sie nahm sich ihren selber genähten Tabakbeutel und drehte sich einen kleinen Stick, ging auf ihren Balkon und versuchte, sich langsam runterzufahren, während sie bewegungslos in den Sonnenuntergang blickte.


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"Warum, warum, warum?“, hämmerte es in seinem Kopf. Langsam ließ die Wirkung der Schmerztabletten wieder nach, und die Hand begann erneut zu schmerzen. „Vielleicht ist sie ja noch da“, dachte er sich plötzlich und ging ins Bad zurück. Die eine Fliese an der Badewannenverkleidung war nur mit einem Clip befestigt, damit man an den Abfluss rankommt, und in dem Hohlraum zwischen Badewanne und Abfluss hatten Norman und er nach der letzten kleinen Sauferei den Gin und Tonic versteckt. „Ja, beides noch da“, gluckste er vor Glück. Nur gab es kein Trinkgefäß. Also mischte er sich den Gin Tonic im Mund zusammen. Nach einer ganzen Weile kippte er langsam an der Heizung zur Seite und schlief ein. Gegen Morgen wachte er mit dem Drang, auf die Toilette zu müssen, auf. Die Flaschen verstaute er wieder in der Badewannenöffnung. Als er die Flaschen unter die Badewanne schob, entdeckte er ein kleines Büchlein. Nicht größer als ein Oktavheft. Plötzlich spürte er an der rechten Innenwand noch etwas. Es fühlte sich wie eine kleine Plastiktüte an. Nachdem er diese vorsichtig von der Innenwand abgetrennt hatte, zog er sie heraus.


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Dann stand sie ruckartig auf und marschierte ins andere Ende des Wohnzimmers, wo der große rote Boxsack hing. Sie stellte sich davor und … „Daumen raus“, rief Steve im allerletzten Moment, doch da krachte ihre rechte Faust schon in den Boxsack. Es folgte ein schmerzhafter Aufschrei, dann ein lautes „Scheiße.“ Eine Sekunde später, Steve schaute gespannt zu, hagelte eine Serie von Schlägen auf den Boxsack hernieder: bumm, bumm, bumm, bumm… „Wie es aussieht, jetzt ohne Daumen in der Faust“, dachte sich Steve und beobachtete Marion, die in seinen Boxershorts und seinem T-Shirt stehend, den Boxsack malträtierte. Als ihre Schläge gleichmäßiger und kontrollierter wurden, als sie spürte, dass ihr Atem ebenfalls wieder gleichmäßig ging, hörte sie auf. Die aufgestaute Wut und die Aggression waren draußen. Sie drehte sich um und ging wortlos ins Bad. Nach fünfzehn Minuten kam sie frisch geduscht und strahlend heraus, ging zu Steve, nahm ihn in den Arm und sagte leise „Danke.“